
Warum ich trotzdem noch fotografiere (obwohl KI es „besser“ kann)
KI spuckt atemberaubende Bilder aus, in Sekunden fertig. Da stellt sich schon die Frage: Wozu noch selbst zur Kamera greifen?
Mal ehrlich: Wenn eine KI mir eine Makroaufnahme einer Biene generiert, die nicht nur beeindruckend aussieht, sondern vielleicht sogar… schöner ist als das, was ich nach stundenlangem Herumkriechen im Garten zusammenbekomme – warum sollte ich mir die Mühe machen? Es geht hier nicht nur um Pixel und Megapixel. Sondern um etwas, das schwerer zu fassen ist: Authentizität. Anstrengung. Die Tatsache, dass jemand tatsächlich da war.
Perfektion ist verdächtig
Schauen wir uns an, was KI heute kann. Es ist atemberaubend. Die Systeme wurden mit Millionen von Bildern gefüttert und können Licht simulieren, Schatten setzen, jede Textur nachahmen. Eine KI-Biene? Perfekt ausgeleuchtet. Jedes Härchen sitzt. Die Flügel haben genau die richtige Transparenz.
Aber genau da fängt es an, komisch zu werden.
Die Realität ist nämlich selten perfekt – und das ist gut so. Ein echtes Makrofoto zeigt vielleicht eine leicht ramponierte oder unscharfe Antenne, irgendwelche Pollenkörner, die nicht ganz symmetrisch kleben, oder diese minimale Bewegungsunschärfe, weil die Biene natürlich nicht posiert hat. Das sind keine Fehler. Das ist eigentlich das, was es echt macht. Ungefilterte Wirklichkeit, die nicht durch Algorithmen geglättet wurde.

„Ich war da“ – das zählt doch was, oder?
Ein Foto dokumentiert nicht nur ein Objekt. Es bezeugt einen Moment. Es sagt: Das ist passiert. Hier. So. Ich hab’s gesehen.
Diese Ebene (die über das rein Visuelle hinausgeht) schafft eine Verbindung. Historisch, aber auch persönlich. Wenn ich mir ein echtes Makrofoto einer Biene anschaue, sehe ich nicht nur ein Insekt – ich sehe die Begegnung zwischen einem Menschen und diesem Lebewesen. Das Licht an diesem speziellen Tag; die Bewegung in genau diesem Sekundenbruchteil.
Ein KI-Bild dagegen? Das ist ein Konstrukt aus statistischen Wahrscheinlichkeiten. Eine Synthese tausender anderer Bilder, aber kein Zeugnis eines tatsächlichen Augenblicks. Beeindruckend, klar – aber ihm fehlt das, was der Philosoph Roland Barthes das „Es-ist-gewesen“ nannte. (Ja, ich zitiere hier einenfranzösischen Philosophen. Aber es passt einfach.)
Der Weg ist das Ziel? Klingt abgedroschen, stimmt aber
Um ein gutes Makrofoto hinzubekommen, braucht es Zeit und Geduld sowie technisches Know-how, das man sich oft über Jahre aneignet. Man muss das Equipment haben und kennen, die richtigen Einstellungen finden, das Licht kontrollieren (oder darauf warten – oft ist Warten der größere Teil), und dann: den richtigen Moment erkennen und klicken und das nicht nur einmal.
Diese Anstrengung ist nicht bloß Mittel zum Zweck. Sie ist selbst wertvoll.
Aristoteles unterschied zwischen „Poiesis“ (etwas herstellen) und „Praxis“ (etwas tun, weil es an sich wertvoll ist). Fotografie verbindet beides: Man schafft ein Produkt, aber der Prozess dahin – der hat einen Eigenwert. Ist es wirklich dasselbe, ob ich ein Bild in drei Sekunden generiere oder ob ich stundenlang in der Natur hocke und ein Lebewesen beobachte?
Man lernt was dabei
Ein Naturfotograf, der Bienen fotografiert, lernt zwangsläufig über deren Verhalten. Wo sie hinfliegen, wie sie sich bewegen, wann sie stillhalten. Dieses Wissen entsteht aus direkter Beobachtung.
Bei KI-Bildern? Du brauchst Prompt-Engineering-Skills, sicher. Aber du musst keine Ahnung von Bienen haben, um ein überzeugendes Bienenbild zu generieren. Paradox: Wir können immer realistischere Bilder von Dingen erzeugen, die wir immer weniger aus erster Hand kennen.
Diese Trennung zwischen Bild und Wissen hat langfristige Konsequenzen. Wenn Bilder nicht mehr aus der Begegnung mit dem Abgebildeten entstehen müssen… dann verändert sich unsere Beziehung zur Realität fundamental. Ob das gut oder schlecht ist – ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Es fühlt sich jedenfalls seltsam an.
Das Überraschende
In der traditionellen Fotografie gibt es oft Details, die man nicht geplant hat. Zufälligkeiten. Elemente, die erst bei genauerer Betrachtung auffallen und die aus der Komplexität der realen Welt entstehen – jenseits der Intention des Fotografen. KI arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten und Mustern. Sie kann Überraschungen produzieren, klar, aber sie operiert innerhalb der Grenzen ihrer Trainingsdaten. Das wirklich Überraschende – das, was komplett außerhalb unserer Erwartungen liegt – ist selten.
Ist Kunst die perfekte Umsetzung einer Intention? Oder die Offenheit für das Unerwartete? Fotografie balanciert zwischen Kontrolle und Zufall; KI-Bilder sind eher kontrollierte Variationen.
Die Begegnung mit der Welt (jetzt wird’s philosophisch)
Der vielleicht tiefste Unterschied: Traditionelle Fotografie erfordert direkte Begegnung. Du musst physisch da sein, dich ins Verhältnis zum Motiv setzen, eine Verbindung herstellen. Zur Landschaft, zu Menschen, zu dieser einen Biene. Diese Begegnung ist eine Form des In-der-Welt-Seins (Heidegger hätte seine Freude daran). Sie fördert eine bestimmte Art von Aufmerksamkeit und Präsenz – etwas, das in unserer mediierten Welt rar geworden ist. KI-Bildgenerierung? Keine direkte Begegnung nötig. Alles passiert in einer digitalen Umgebung, vermittelt durch Interfaces und Algorithmen. Praktisch? Absolut. Aber es ist eine grundlegend andere Beziehung zur Welt – eine, die durch mehrere Abstraktionsschichten läuft.
Also: Sollten wir noch fotografieren?
Vielleicht geht es nicht um Entweder-Oder. Sondern darum, die verschiedenen Werte zu verstehen.
Fotografieren als Aufmerksamkeitstraining: Es zwingt dich, genau hinzuschauen. Präsent zu sein. Die Welt mit gesteigerter Konzentration wahrzunehmen – und das hat einen Wert jenseits des Bildes selbst.
Fotografieren als Beziehungsarbeit: Du trittst in direkte Beziehung zu deinen Motiven. Das ist transformativ. (Ja, auch bei Bienen.)
Fotografieren als Wissensform: Du lernst, die Welt zu lesen – Licht zu verstehen, Bewegung zu antizipieren, Muster zu erkennen. Dieses verkörperte Wissen unterscheidet sich komplett vom abstrakten Wissen der KI-Bildgenerierung.
Fotografieren als Zeugnis: Ein Foto bezeugt nicht nur, was gezeigt wird, sondern auch, dass jemand da war. Diese Qualität des Zeugnisses wird in einer Ära synthetischer Medien zunehmend… wertvoll? Selten? Beides.
Koexistenz statt Konkurrenzkampf
KI-generierte Bilder haben ihre Stärken:
- Kreative Exploration jenseits physischer Grenzen
- Demokratisierung (nicht jeder kann sich eine Vollformat-Kamera mit Makro-Objektiv leisten)
- Kreative Unterstützung und Inspiration
- Visualisierung von Dingen, die (noch) nicht fotografiert werden können
Die Zukunft liegt vermutlich nicht im Entweder-Oder. Sondern in einem bewussten Sowohl-Als-Auch. Nicht: „Ersetzt KI die Fotografie?“, sondern: „Wie setzen wir beide ihren Qualitäten entsprechend ein?“
Was bleibt
Das „Echte“ an traditioneller Fotografie liegt nicht unbedingt im Bild selbst. Sondern in der Verbindung, die sie herstellt: zwischen Fotograf, Fotografiertem und letztlich auch dem Betrachter.
Ein Makrofoto einer Biene mag visuell identisch mit einem KI-Bild sein. Aber die Geschichte dahinter? Die Begegnung, die es repräsentiert? Die Erfahrung, die es verkörpert? Fundamental verschieden.
Vielleicht bleibt traditionelle Fotografie gerade wegen (nicht trotz) der KI-Bildgenerierung wertvoll. Als Praxis der direkten Begegnung in einer zunehmend… naja, vermittelten Welt. Sie erinnert uns daran, dass die Qualität eines Bildes nicht nur in seiner visuellen Erscheinung liegt. Sondern auch in seiner Entstehungsgeschichte.
Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Die Herausforderung? Beide bewusst einzusetzen und ihre eigenen Qualitäten zu würdigen. In dieser bewussten Koexistenz könnte eine Zukunft liegen, die sowohl technologisch fortschrittlich als auch – und das klingt jetzt pathetisch, aber ich meine es ernst – menschlich bedeutsam ist. Sie auch meinen Blog hier.