Ich mache mir mit diesem Beitrag wahrscheinlich keine Freunde. Aber echte Freunde suche ich ohnehin nicht im Internet.

Heute erkläre ich, warum ich die bekanntesten „Gesichtsbücher und Gezwitscher“ bewusst nicht nutze und unterstütze.
Eigentlich ganz einfach. Weil ich auch im realen Leben nicht das Fenster aufmache und hinausschreie was ich gerade mache, in der Hoffnung dass möglichst viele zuhören, mir dabei applaudieren und ab sofort mit mir befreundet sind. Dann werfe ich noch ein Foto meines Essens hinterher und eine Stunde später berichte ich genauso über den erfolgreichen Stuhlgang. Mit gesundem Menschenverstand gibt es dafür keinen vernünftigen Grund. Trotzdem machen weltweit über drei Milliarden Menschen mit – und in Deutschland mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Die Grenze zwischen virtuell und real ist dabei längst verschwommen.
Die Gründe
Ich denke mir in vielen Fällen sind das
– Gruppenzwang
– zwanghafte Suche nach Selbstbestätigung
– Neugier und Angst etwas zu versäumen
– gerne schnell Urteile abgeben ohne viel Nachzudenken zu müssen
– mit nur einem Fingerklick der Welt zu sagen „ich bin auch da“
– mi mi mi
Die negativen Seiten werden dabei gerne schnell bewusst übersehen. Von den Hasspostings, gezielter Desinformation, permanenter Werbung oder für Kinder schädlichen Inhalten ganz zu schweigen. Alles egal. Ich muss noch mehr Likes und Freunde haben, immer wissen aktuell gerade passiert und ja, Herr Lehrer ich weiß was. Leute Leute Leute! Als Preis dafür werden Sie ausspioniert, Ihre Daten zur Ware und Ihr Leben gläsern. Das Bemerkenswerteste daran: All dies geschieht wissentlich. Die Nutzer nehmen es nicht nur in Kauf – sie fordern es scheinbar immer wieder aufs Neue.
Bin ich mit meiner Meinung alleine?
Nein! Ich habe hier in der Berliner Gazette einen Artikel gefunden, der die Sachlage zu den bekanntesten Communities sehr gut und gemäßigter als ich 😉 beschreibt.
Zitat:
In den sozialen Medien manifestiert sich eine Verschiebung von den HTML-basierten Verlinkungspraktiken des offenen Webs zum Liken und Empfehlen innerhalb der geschlossenen Systeme. Die indirekte und oberflächliche ‚Like Economy‘ verhindert, dass ihre Nutzer verstehen, worum es im offenen Web eigentlich geht. Mit Info-Handlungen wie Befreunden, Liken, Empfehlen und Updaten führen die sozialen Medien neue Schichten unsichtbaren Codes zwischen einem selbst und den anderen ein. Das Ergebnis ist die programmierte Reduktion komplexer sozialer Beziehungen und eine Verflachung sozialer Welten.
Zitat-Ende.
Würde es sich nicht einmal lohnen, über das eigene Verhalten mit „Gesichtsbücher und Gezwitscher“ nachzudenken? Oder doch nur weiter stupide mit der Herde mitlaufen weil es doch so einfach ist ?
Wenn Du nicht mehr täglich ohne „Gesichtsbücher und Gezwitscher“ und CO auskommst, bist Du vielleicht schon unwiderruflich darin gefangen. Um dies selbst zu kontrollieren, hier eine Checkliste der Uni Stuttgart.
Aktueller Nachtrag vom 06. Februar 2018
— Auszug aus diesem Artikel von heise.de —
Die Kritik an den großen US-Internetdiensten wird immer lauter. Eine ganze Reihe ehemaliger Mitarbeiter hat sich nun verbündet, um deutlich zu machen, wie Facebook & Co. uns geradezu süchtig machen. Die Regeln müssten deswegen geändert werden.
Mehrere Vertreter des Silicon Valley haben sich zusammengeschlossen, um gegen die Gefahren sozialer Netzwerke vorzugehen. Dafür haben sie das „Center for Humane Technology“ gegründet, fasst die New York Times zusammen. Gemeinsam mit anderen Organisationen wollen sie demnach unter anderem eine millionenschwere Kampagne auflegen, um vor den Suchtgefahren durch Social Media zu warnen. Von den Entwicklern und Anbietern fordern sie ein am Menschen ausgerichtetes Design, das sich unserer Angreifbarkeit bewusst ist und diese nicht ausnutzt. Dafür müssten aber die Regeln geändert werden, denn derzeit lohne es sich für Youtube, Facebook, Snapchat, Twitter & Co., mit allen Mitteln um unsere Aufmerksamkeit zu konkurrieren.
Ein System uns süchtig zu machen
Auf ihrer Website fassen die Aktivisten zusammen, welche Gefahren die sozialen Netze ihrer Meinung darstellen. Anders als in der Vergangenheit könnten wir uns diesmal nicht einfach daran gewöhnen, ohne dass das massive negative Konsequenzen hätte, warnen sie. Denn soziale Netze kämpften mit allen Mitteln um unsere Aufmerksamkeit – ihr Geschäftsmodell lasse ihnen gar keine Wahl. Ob und wie uns das verändere, sei unerheblich. Snapchat etwa mache aus Gesprächen die sogenannten Streaks. Das heißt, die Nutzer können sehen, wie viele Tage infolge sie mindestens einmal täglich mit einem Kontakt kommuniziert haben. Hier ist das Ziel natürlich eine möglichst hohe Zahl, wodurch sich die Art und Weise verändere, mit der Kinder den Grad einer Freundschaft bemessen.
Die Erfinder warnen vor den Erfindungen
Diese teils drastischen Vorwürfe kommen von Personen, die es wissen dürften: Tristan Harris, der das Center for Humane Technology mitgegründet hat, arbeitete einst als Designethiker bei Google. Justin Rosenstein erfand bei Facebook den Like-Button, der nicht von ungefähr zum wichtigsten Symbol des sozialen Netzwerks geworden ist. Roger McNamee gehörte zu den frühen Investoren bei Facebook, Electronic Arts und Yelp. Randima Fernando arbeitete jahrelang bei Nvidia. Der Lyft-Präsident John Zimmer unterstützt das Projekt genauso wie Natasha Schüll, die das Buch „Addiction by Design“ verfasst hat. Sie alle gesellen sich nun zu den immer lauter werdenden Stimmen, die vor den immensen Folgen warnen, die der stetige Kampf um Aufmerksamkeit haben könnte.
Sonderfall WhatsApp: Der grüne Haken der Bequemlichkeit
Oft höre ich den Satz: „Facebook nutze ich nicht, aber ohne WhatsApp geht es halt nicht.“ Diese App ist vielleicht der größte und gefährlichste Kompromiss, den Millionen von Menschen täglich eingehen, angetrieben von einem einzigen Argument: „Alle anderen nutzen es auch.“
Dieser digitale Gruppenzwang hat einen hohen Preis. Wer den Nutzungsbedingungen zustimmt, akzeptiert stillschweigend eine ganze Liste an untragbaren Nachteilen:
- Sie verraten Ihre Freunde: Der größte Verrat geschieht im Verborgenen. Um zu sehen, wer von Ihren Kontakten auch WhatsApp nutzt, geben Sie der App Zugriff auf Ihr komplettes Adressbuch. Damit laden Sie die Daten von Menschen auf die Server von Meta (Facebook), die dem niemals zugestimmt haben. Sie machen die Daten Ihrer Freunde und Familie zur Ware, ohne deren Einverständnis.
- Ihre Metadaten sind Gold wert: Die vielgelobte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützt zwar den Inhalt Ihrer Chats, aber nicht die Metadaten. Meta weiß ganz genau, wer wann wie lange mit wem kommuniziert. Diese Verbindungsmuster sind für Werbe- und Verhaltensprofile wertvoller als der Inhalt jedes einzelnen Chats.
- Sie sind das Produkt, nicht der Kunde: WhatsApp ist kostenlos, weil Meta nicht am Dienst, sondern an Ihren Daten verdient. Sie füttern mit jeder Nachricht, jedem Status-Update und jedem Anruf den unersättlichen Datenhunger eines der größten Werbekonzerne der Welt.
Das Scheinargument: „Ich habe doch nichts zu verbergen“
Dies ist der am häufigsten genannte und gleichzeitig dümmste Grund, die eigene Privatsphäre aufzugeben. Es ist das Argument eines Menschen, der das Wesen von Privatsphäre nicht verstanden hat.
Wer sagt „Ich habe nichts zu verbergen“, meint eigentlich „Mir ist egal, was mit meinen Daten passiert“. Fragen Sie diese Person doch einmal, ob Sie den PIN-Code ihrer Bankkarte bekommen können. Oder ob sie Ihnen den Schlüssel zu ihrer Wohnung gibt, damit Sie nachts ihre Briefe und Tagebücher lesen können. Natürlich nicht. Warum? Weil es privat ist.
Es geht nicht darum, kriminelle oder peinliche Dinge zu verbergen. Es geht um das grundlegende Recht auf einen geschützten Raum für unsere Gedanken, Gespräche und Beziehungen. Privatsphäre ist das Recht, wir selbst zu sein, ohne dabei beobachtet, analysiert und für kommerzielle Zwecke kategorisiert zu werden.
Wer seine Daten freiwillig hergibt, weil er vermeintlich „nichts zu verbergen“ hat, baut an einer Welt mit, in der Überwachung die Norm und Privatsphäre ein verdächtiger Luxus ist. Er schadet damit nicht nur sich selbst, sondern der Freiheit aller.
Es geht also nicht darum, ob Sie etwas zu verbergen haben. Es geht darum, ob Sie Ihre Freiheit und die Ihrer Mitmenschen noch zu schützen wissen.
Nicht vorschnell urteilen
Meistens war ich fünf Jahre vor dem Mainstream, aber ich habe mich niemals von den Möglichkeiten vereinnahmen lassen. Ich nutze die Technik, aber ich lasse nicht zu, dass sie mich benutzt. Und genau deshalb verzichte ich auf die ‚Gesichtsbücher‘ – nicht aus Unwissenheit, sondern aus Überzeugung.